Baumann “Durst nach Frieden”

Baumann “Durst nach Frieden”

(…. ) Jede Etappe und jede Phase der menschlichen Geschichte hatte einen gemeinsamen Nenner: sie war charakterisiert durch eine Eingliederung einerseits und einer Ausschließung andererseits.

Auf diese Weise entstand durch die Ausschließung und die Eingliederung eine gegenseitige Identifizierung. Das “Wir” konnte man messen an der gegenseitigen Feindseligkeit. Unser “Wir” bedeutete, dass wir nicht so sind wie sie – und das Ihrige, dass sie nicht so sind wie wir. Die einen brauchten die anderen um als miteinander verbundene Entität zu existieren und als Möglichkeit, sich durch einen Ort oder eine Gruppenzugehörigkeit identifizieren zu können. In der ganzen menschlichen Geschichte war das bisher so. Aus diesem Grund wurde viel Blut vergossen. Diese  Art von Selbstidentifizierung wuchs  aus einer Identifizierung  heraus, die  anders war im Vergleich zu der meines Nächsten.

Heute stehen wir vor der unausweichlichen Notwendigkeit der nächsten Etappe unserer Geschichte, in der wir den Begriff Menschheit erweitern.

Wenn wir von eigener Identität sprechen, haben wir dabei die Auffassung von dem, was wir in den Gedanken einer zusammengefügten Menschheit einschließen.

Ich würde sagen, dass wir vor einem weiteren Sprung stehen, der von uns die Abschaffung des Pronomens “Sie” verlangt. Bis jetzt hatten unsere Vorfahren etwas Gemeinsames: einen Feind. Heute, vor der Perspektive einer globalen Menschheit, wo finden wir diesen Feind?

Wir befinden uns in einer kosmopolitischen Realität, deshalb hat alles, was selbst in der entferntesten Ecke der Erde geschieht, Wirkung auf unseren ganzen Planeten, auf die zukünftigen Perspektiven. Wir hängen alle voneinander ab, davon gibt es kein Zurück mehr (…)

Zygmunt Baumann, Soziologe und Philosoph, 18.09 2016  Assisi, bei der Eröffnung des Interreligiösen Treffens “Durst nach Frieden”

Mattarella: das Europa der jungen Generation

Mattarella: das Europa der jungen Generation

(…) Ich möchte mich jetzt vor allem an die Jugendlichen wenden.

Ich weiß sehr gut, dass Eure Würde auch von der Arbeit abhängt und ich weiß auch, dass in unserem Land die Arbeit für die Erwachsenen ungenügend, oft prekär und schlecht bezahlt ist. Wenn es für sie so ist, so ist es noch mehr für euch. Eure Generation ist ausgebildeter als jene, die euch vorausgegangen ist.

Ihr habt sehr große Kenntnisse und eine große Potenzialität.

Euch muss die Möglichkeit gegeben werden, Protagonisten des Gesellschaftsleben zu werden.

Viele von euch studieren oder arbeiten in anderen Ländern Europas. Das ist oft eine große Chance. Doch es muss eine persönliche  Entscheidung sein. Wenn man gezwungen ist Italien zu verlassen, weil das Angebot fehlt, so befinden wir uns vor einer Pathologie , für die wir eine Abhilfe schaffen müssen.

Die Jugendlichen , die sich fürs Ausland entscheiden, verdienen immer Respekt und Unterstützung. Doch wenn man die im Ausland gereiften Erfahrungen nicht in unser Land zurückbringt, verarmt die ganze Gesellschaft.

Im vergangenen Februar an der Universität von New York bin ich Studenten aus allen Kontinenten begegnet. Eine Studentin hat ihre Ansprache damit begonnen, dass sie erklärte, dass sie sich nicht nur als Italienerin betrachte, sondern als Europäerin.

Viele Erfahrungen europäischer  Jugendlichen, die sich ihre Kultur, ihre Ideen und ihre Werte austauschen zeigen deutlich, dass Europa nicht einfach ein Produkt von Verträgen ist .

Ein Kontinent der nach Jahrhunderten getrennt war durch Kriege und Feindschaften, hat entschieden einen Weg des Friedens und einer gemeinsamen Entwicklung einzuschlagen.

Diese  Jugendlichen verstehen, dass in der heutigen Zeit die Entscheidung gemeinsam getroffen werden muss.

Angesichts der Tragödie, die die Kinder in Aleppo erleben, den tausenden von Menschen, die im Mittelmeer ertrinken und den vielen Kriegsherden in der ganzen Welt, erfassen sie noch mehr den Wert einer friedlichen europäischen Integration.

Sie akzeptieren nicht, dass Europa sich widerspricht, sich absondert und reaktionsträge wird, wie das oft bei der Einwanderung der Flüchtlinge geschieht.

Von der Europäischen Union erwarten  wir konkrete solidarische Gesten, bei dem Problem der Aufteilung der Flüchtlinge und bei der würdevollen Begleitung derer, die kein Recht auf Asyl haben und die deshalb in ihre Heimat zurückkehren müssen.

Sergio Mattarella, italienischer Staatspräsident, in seiner Ansprache an die Nation, 31.12.2016

 

Neue Horizonte nach Lund (Schweden)

Neue Horizonte nach Lund (Schweden)

Ein gemeinsamer Gedenktag 

„Es ist für mich eine große Freude heute hier zu sein und von den Werken des Heiligen Geistes Zeugnis zu geben, der zwischen den Jüngern Christi Einheit sät. Der Heilige Geist, wie es Martin Luther ausgedrückt hat, “beruft die ganze Christenheit auf Erden, sammelt, erleuchtet, heiliget und erhält in Jesus Christus im rechten, einigen Glauben”. Heute, in Lund und in Malmö, erfahren wir das moderne Wunder des Heiligen Geistes, so wie es die Jünger in meiner Heimatstadt Jerusalem vor zweitausend Jahren erfahren haben. Heute, während wir uns versammeln um unserer Hoffnung auf Einheit Ausdruck zu geben, erinnern wir uns an das hohepriesterliche Gebet Christi: ”Alle sollen eins sein (…) damit die Welt glaubt” (Joh. 17,21).

Danken wir dem einen und dreifaltigen Gott, dass wir uns auf dem Weg vom Konflikt zur Gemeinschaft befinden. Der geschichtliche Tag heute vermittelt der ganzen Welt die Botschaft, dass eine mit Entschiedenheit gelebte Religiosität zu einer friedliche Versöhnung führen kann, anstatt noch mehr Konflikte in unserer bereits geplagten Welt  herbeizuführen. Wenn gläubige Menschen sich für Einheit und Versöhnung einsetzen, kann die Religion einen Wohlstand für die ganze Menschheit bewirken (…. )“.

Aus der Rede von Munib Younan, Präsident des Lutherischen Weltbundes, 31.10.2016

 

500 Jahre Reformation – ein gemeinsamer Gedenktag

Kurt Kardinal Koch, Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen, erklärt in einem Artikel des Osservatore Romano (17.1.2017) die Bedeutung des lutherisch-katholischen Gedenkens der 500 Jahre Reformation

Koch erinnert in dem Artikel an das gemeinsame ökumenische Gebet von Papst Franziskus und dem Präsident des Lutherischen Weltbundes (LWB), Bischof Munib Younan, beim ökumenischen Reformationsgedenken am 31.10.2016 im schwedischen Lund.

Dieser historische Moment wurde jedoch nicht nur positiv bewertet. Koch erklärt deshalb, dass es  weder um ein “Abdriften des Katholizismus in den Protestantismus” gehe, wie katholische Kritiker fürchteten, noch um einen “Verrat der Reformation”, wie protestantische Kritiker unterstellten. Im Zeitalter der Ökumene seien solche polemischen Töne früherer Zeiten überwunden.

Beide Seiten sollten das gemeinsame Gedenken zum Dialog nutzen, fordert Kardinal Koch auf. „Das Reformationsgedenken 2017 erinnert an 1517, die Zeit, in der es noch keine Spaltung zwischen dem Reformator Martin Luther und der katholischen Kirche gab“, so der Kardinal.  Martin Luther wollte keine neue Kirche gründen, sondern die Christenheit im Sinn des Evangeliums reformieren.  Das wurde u.a. durch politische Vorkommnisse verhindert. Heute – so Koch – müssten die Christen nach 500 Jahren Trennung  lernen, in Einheit zu leben. Das Gedenkjahr sei eine Einladung dazu, sich die ursprüngliche Sorge Martin Luthers wieder zu eigen zu machen.  Es solle von Buße für die Verletzungen der Vergangenheit, aber auch  von Dankbarkeit für 50 Jahre Dialog zwischen Katholiken und Lutheranern und Hoffnung für die Zukunft geprägt sein.

(Zusammenfassung von Beatriz Lauenroth)

Der Traum von Papst Franziskus

Der Traum von Papst Franziskus

Anlässlich der Verleihnung des Karlspreises in Rom, am 6. Mai 2016, hat Papst Franziskus den Anwesenden seinen Traum von Europa anvertraut.

(…)  Mit dem Verstand und mit dem Herz, mit Hoffnung und ohne leere Nostalgien, als Sohn, der in der Mutter Europa seine Lebens- und Glaubenswurzeln hat, träume ich von einem neuen europäischen Humanismus: »Es bedarf eines ständigen Weges der Humanisierung«, und dazu braucht es »Gedächtnis, Mut und eine gesunde menschliche Zukunftsvision«. Ich träume von einem jungen Europa, das fähig ist, noch Mutter zu sein: eine Mutter, die Leben hat, weil sie das Leben achtet und Hoffnung für das Leben bietet.

Ich träume von einem Europa, das sich um das Kind kümmert, das dem Armen brüderlich beisteht und ebenso dem, der Aufnahme suchend kommt, weil er nichts mehr hat und um Hilfe bittet.

Ich träume von einem Europa, das die Kranken und die alten Menschen anhört und ihnen Wertschätzung entgegenbringt, auf dass sie nicht zu unproduktiven Abfallsgegenständen herabgesetzt werden.

Ich träume von einem Europa, in dem das Migrantsein kein Verbrechen ist, sondern vielmehr eine Einladung zu einem größeren Einsatz mit der Würde der ganzen menschlichen Person.

Ich träume von einem Europa, wo die jungen Menschen die reine Luft der Ehrlichkeit atmen, wo sie die Schönheit der Kultur und eines einfachen Lebens lieben, die nicht von den endlosen Bedürfnissen des Konsumismus beschmutzt ist; wo das Heiraten und der Kinderwunsch eine Verantwortung wie eine große Freude sind und kein Problem darstellen, weil es an einer hinreichend stabilen Arbeit fehlt.

Ich träume von einem Europa der Familien mit einer echt wirksamen Politik, die mehr in die Gesichter als auf die Zahlen blickt und mehr auf die Geburt von Kindern als auf die Vermehrung der Güter achtet.

Ich träume von einem Europa, das die Rechte des Einzelnen fördert und schützt, ohne die Verpflichtungen gegenüber der Gemeinschaft außer Acht zu lassen.

Ich träume von einem Europa, von dem man nicht sagen kann, dass sein Einsatz für die Menschenrechte an letzter Stelle seiner Visionen stand. Danke.

Verleihung des Karlspreises, Auszug aus der Ansprache von Papst Franziskus, Rom, Regia-Saal, Freitag, 6. Mai 2016

Link zum vollständigen Text: http://w2.vatican.va/content/francesco/de/speeches/2016/may/documents/papa-francesco_20160506_premio-carlo-magno.html

Die Botschaft von München 2016

Die Botschaft von München 2016

Miteinander für Europa. Begegnung. Versöhnung. Zukunft.
München, 2. Juli 2016

Zum Miteinander gibt es keine Alternative

„In Vielfalt geeint“. Diese europäische Hoffnung ist heute aktueller denn je. Europa darf nicht zur Festung werden und neue Grenzen aufrichten. Zum Miteinander gibt es keine Alternative. Ein Miteinander in versöhnter Verschiedenheit ist möglich. 

Das Evangelium – eine Quelle der Hoffnung

Jesus Christus hat für die Einheit gebetet und sein Leben dafür gegeben. Das sagt uns das Evangelium, das seit 2000 Jahren eine prägende Kraft für die Kultur in Europa ist. Jesus Christus lehrt uns die grenzenlosen Liebe zu allen Menschen. Er zeigt uns den Weg der Barmherzigkeit und der Versöhnung: Wir können um Vergebung bitten und einander vergeben. Das Evangelium von Jesus Christus ist eine kraftvolle Quelle, aus der wir Hoffnung für die Zukunft schöpfen können.

Europa – eine Kultur des Respekts und der Wertschätzung

Die schrecklichen Erfahrungen der Weltkriege haben uns gelehrt, dass der Friede eine kostbare Gabe ist, die wir bewahren müssen. Unsere Zukunft soll von einer Kultur des Respekts und der Wertschätzung des Anderen, auch des Fremden geprägt sein. 

Einheit ist möglich –  Trennungen überwinden

Wir bitten alle Christen, besonders auch die Verantwortlichen der Kirchen, Trennungen zu überwinden. Trennungen haben Leid, Gewalttat und Ungerechtigkeit verursacht und die Glaubwürdigkeit des Evangeliums geschmälert. Als Christen wollen wir miteinander versöhnt und in voller Gemeinschaft leben. 

Unsere Verpflichtung

  • Wir leben mit dem Evangelium von Jesus Christus und bezeugen es in Wort und Tat.
  • Wir gehen den Weg der Versöhnung und helfen mit, dass unsere Gemeinschaften, Kirchen, Völker und Kulturen „in Vielfalt geeint“ leben können.
  • Wir begegnen Menschen anderer Weltanschauung und Angehörigen anderer Religionen mit Respekt und suchen das offene Gespräch.
  • Wir setzen uns dafür ein, dass Mitmenschlichkeit und Frieden auf der Welt wachsen.
  • Wir haben die Vision eines Miteinander in Europa, das stärker ist als jede Angst und jeder Egoismus.
  • Wir vertrauen auf den Heiligen Geist, der die Welt ständig erneuert und belebt.