Die Aufgabe einer kreativen Minderheit

Die Aufgabe einer kreativen Minderheit

Auszüge aus einem Beitrag von Jesus Moran Cepedano, Ko-Präsident der Fokolar-Bewegung, Philosoph und Experte in anthropologischer Theologie, zum Kongress von Miteinander für Europa in München am 30.6.2016.

Warum hat Europa in den letzten Jahrhunderten eine Kultur hervorgebracht, für die Gott nicht mehr ein Geheimnis ist, sondern ein unlösbares Problem? Und die als Folge davon auch den Menschen zu einem unlösbaren Problem macht – den Menschen in der Beziehung zu sich selbst, zu den anderen, zum Kosmos und zum Absoluten? Die Frage ist umso „anstößiger“ wenn wir an die Geschichte des europäischen Kontinents denken, der über viele Jahrhunderte einen Humanismus erarbeitet hat auf der Ebene des Geistes, der Kunst, der Philosophie, der Wissenschaft, des Rechts und der Politik.

Im Jahr 2004 unterstrich der damalige Kardinal Josef Ratzinger die Aussage von Arnold J. Toynbee, dass das Schicksal einer Gesellschaft entscheidend von einer kreativen Minderheiten abhänge. Vielleicht, so Ratzinger, sei das die Aufgabe der Christen: sich als eine solche kreative Minderheit zu begreifen und dazu beizutragen, dass Europa das Beste aus seinem Erbe neu zurückgewinnt. [1]

Worin dieses Erbe besteht, wird uns überraschenderweise von bekannten Intellektuellen wie Hans Georg Gadamer und George Steiner aufgezeigt. Aus verschiedenen Sichtweisen sehen beide in Europa sowohl eine „geistliche wie eine intellektuelle“ Aufgabe. Gadamer schreibt: „Mit dem anderen leben, wie der andere und vom anderen leben, ist eine universale Aufgabe, im Großen wie im Kleinen. Wenn wir heranwachsen und – wie man sagt – ins Leben hinausgehen, lernen wir, mit dem anderen zusammenzuleben. Das Gleiche gilt auch für große Menschengruppen wie Völker und Staaten. Es ist wahrscheinlich ein Privileg Europas, dass es mehr als andere Länder lernen konnte und musste, mit den Verschiedenheiten zu leben.“[2]

Diese Bestimmung verlangt die Kreativität, die Begabung und die Fähigkeit, neu aufzustehen und die eigenen Grenzen zu überwinden. Dies gehörte immer schon zur Seele Europas, wie seine gesamte Geschichte beweist – vor allem in der Zeit nach den Zerstörungen des Zweiten Weltkrieges. Die Gründerväter des europäischen Projekts besaßen die Kühnheit, nicht nur von einer anderen Idee von Europa zu träumen, sondern auch zu beginnen, diese Idee umzusetzen. Dabei zielten sie auf die Integration des ganzen kulturellen Erbes des Kontinents, denn –  wie es Konrad Adenauer mit prophetischen Worten sagte -: „… die Zukunft der abendländischen Menschheit (…) ist durch keine politische Spannung so gefährdet wie durch die Gefahr der Vermassung, der Uniformierung des Denkens und Fühlens, kurz, der gesamten Lebensauffassung, und durch die Flucht aus der Verantwortung, aus der Sorge für sich selbst.“[3]

Deshalb kann und muss Europa eine Kultur der Einheit in der Verschiedenheit entwickeln und so der Welt, heute mehr denn je, eine Perspektive geben. Und zwar auf allen Ebenen: angefangen beim persönlichen, alltäglichen Leben bis hin zu den Institutionen und zur gemeinsamen Perspektive. Dazu hat vor kurzem auch der Ökumenische Patriarch Bartholomäus I. aufgefordert: „Auch die Institutionen werden verstehen – wenn wir imstande sind, sie mit dieser Achtsamkeit auf die Vielfalt zu “verwandeln”-, dass Vielfalt Geschenk und nicht Gegensatz bedeutet, Reichtum und nicht Ungleichgewicht, Leben und nicht Tod. Wir leben in einem Kontext, in dem der Pluralismus Gefahr läuft, im Namen einer falschen Einheit, die nach der globalen Nivellierung aller Ausdrucksformen des Menschen strebt, preisgegeben zu werden. […] Aber gerade aus der Annahme der Verschiedenheit als Basis für die verwundete Menschheit, durch den Dialog der Liebe, durch gegenseitige Achtung, durch die Annahme des Anderen und unsere Bereitschaft aufzunehmen und aufgenommen zu werden, können wir für die Welt zum Bild Christi werden und wie er in der Einheit auch Vielfalt sein.“[4]

Es geht darum, mit neuem Schwung und mit Entschiedenheit erneut eine Kultur der Menschenrechte hervorzubringen, die fähig ist, auf weise Art die persönliche Dimension mit dem Gemeinwohl aller Gruppen zu verbinden, die in Gesellschaft und Politik zusammenkommen. Dabei darf die transzendente Würde des Menschen nicht verloren gehen, wie Papst Franziskus 2014 vor dem Europäischen Parlament unterstrich.

Deshalb ist auf diesem Weg die Rolle der geistlichen Gemeinschaften von entscheidender Bedeutung. Ihre Aufgabe ist ja die freudige Verkündigung der Frohbotschaft. In einer Epoche, in der die „kulturelle Allianz“ der Kirchen mit der sie umgebenden Gesellschaft zerbrochen scheint, geht es darum, zum Evangelium zurückzukehren. Es gilt, wichtige Begegnungen im Licht der Heiligen Schrift, der Erzählungen des Evangeliums anzuregen, um so dasselbe Leben hervorzubringen, das Jesus von Nazareth hervorgebracht hat. Das hat auch Papst Franziskus anlässlich der Verleihung des Karlspreises unterstrichen. Er sagte: „Gott möchte unter den Menschen wohnen, aber das kann er nur mit Männern und Frauen erreichen, die – wie einst die großen Glaubensboten des Kontinents – von ihm angerührt sind und das Evangelium leben, ohne nach etwas anderem zu suchen. Nur eine Kirche, die reich an Zeugen ist, vermag von neuem das reine Wasser des Evangeliums auf die Wurzeln Europas zu geben. Dabei ist der Weg der Christen auf die volle Gemeinschaft hin ein großes Zeichen der Zeit, aber auch ein dringendes Erfordernis, um dem Ruf des Herrn zu entsprechen, dass alle eins sein sollen (vgl. Joh 17,21).“ [5]

[1] Europa. Seine geistlichen Fundamente gestern, heute und morgen., Lectio magistralis von Kard. J. Ratzinger, 13. Mai 2004, Bibliothek des Senats, Rom.

[2] L’eredità dell’Europa, Einaudi, Torino 1991, pp. 21-22.

[3] Rede bei der Vollversammlung der Deutschen Handwerker, Düsseldorf, 27. April 1952. Zitiert von Papst Franziskus bei der Verleihung des Karlspreises (6. Mai 2016).

[4] Lectio magistralis des Ökumenischen Patriarchen Bartholomäus anlässlich der Verleihung des Ehrendoktorats am Hochschulinstitut Sophia, Loppiano, 26. Oktober 2015.

[5] Papst Franziskus, Rede bei der Verleihung des Karlspreises, Rom, 6. Mai 2016.

Foto: ©Ursel Haaf – www.urselhaaf.de

Europa ist unsere Sache

Europa ist unsere Sache

Kleine Beispiele für Synergien zwischen Bewegungen und Initiativen „pro Europa“

„Miteinander für“ in Dresden

Wir sind eine kleine Gruppe der Fokolar-Bewegung in Dresden. Vor einigen Monaten hatten wir die Gelegenheit, auf dem Hauptplatz der Stadt etwa 200 Menschen die Gedanken über die weltweite Geschwisterlichkeit weiterzuschenken, wie Chiara Lubich sie im Jahre 2001 in Innsbruck vor 700 Bürgermeistern formuliert hatte. Mitorganisator der Veranstaltung in Dresden war „Pulse of Europe“, eine offene Initiative, die sich gemeinsam mit anderen für ein vereintes und demokratisches Europa einsetzt. „Pulse of Europe“ organisiert monatlich ein Programm, um Menschen für den Frieden und für die Werte, auf denen Europa gründet, zu sensibilisieren. Spürbar war die „geistliche Verwandtschaft“ die uns auch durch die Person von Chiara verbindet, die weltweit in vielen Menschen die Werte einer universalen Geschwisterlichkeit zu wecken wusste, auch im Blick auf das große Projekt eines vereinten Europas.

Als ein Verantwortlicher für die Jugendlichen in der Diözese, ein Jesuit, von unserer Zusammenarbeit hörte, hat er uns sehr ermutigt: „Macht weiter! Ihr habt die Möglichkeit, ganz unkompliziert euren Beitrag zu leisten. Ich bitte euch wirklich darum: Macht damit weiter, denn andere habe zu viel Angst!“  Wenn wir auch wenige sind, können wir dennoch den Weg einschlagen, den Gott uns weist! Wir sind sehr froh die Leute von „Pulse of Europe“ kennengelernt zu haben und sie wissen, dass wir sie unterstützen. Wir können es mit Überzeugung sagen: Ihr Anliegen, ihre große Herausforderung, ist auch die unsere.

Monika Scheidler, Ilse Fehr

Der “Neokatechumenale Weg” feiert sein 40-jähriges Bestehen in Slowenien. Eine Gelegenheit, ein Fest innerhalb der großen Familie des Miteinanders zu feiern.

Anfang September feierte der “Neokatechumenale Weg” seine 40-jährige Präsenz auf slowenischem Boden. Mitgefeiert haben auch Vertreter von verschiedenen Bewegungen wie Couples for Christ (Ehepaare für Christus), Cammino (Pot), Fokolar-Bewegung, Erneuerung im Geist und die Gemeinschaft Emmanuel. Die Feierlichkeiten waren sehr gut vorbereitet: ein Hochamt mit der Teilnahme von 5 Bischöfen und anschließend eine Agape, die Raum zu geschwisterlichen Begegnungen und zum Austausch gab. Ein besonderes Geschenk bei diesem Jubiläum war die Anwesenheit der ersten Neokatechumenalen, die vor 40 Jahren diesen Geist aus Italien nach Slowenien gebracht hatten. Die Feier war eine gute Gelegenheit um echte und tiefe Beziehungen zu knüpfen. Im Saal wurden wir herzlich empfangen und unter den besonderen Gästen wurden auch die Mitglieder der verschiedenen Gemeinschaften erwähnt.

Das Netz der unterschiedlichen Bewegungen und Gemeinschaften in Slowenien hat sich auch Dank der gegenseitigen Hilfe und Gastfreundschaft in all den Jahren verstärkt. So hat beispielsweise die Fokolar-Bewegung in ihrem Tagungszentrum in Planina 200 Ukrainer des “Neokatechumenalen Weges” auf ihrer Hin- und Rückreise nach Rom beherbergt und mit Freude werden demnächst erneut 80 Ukrainer auf der Durchreise in die Ewige Stadt erwartet. Planina liegt strategisch günstig auf dem Weg nach Italien, was wir gerne für die Begegnungen im Sinne des Miteinanders nutzen.

Pavel und Marjana Snoj, Slowenien

Foto: privat