Brüssel, 15. Mai 2025: Europa steht weiterhin im Zentrum internationaler Spannungen und lebhafter Debatten, deren Ausgang das Leben der fast halbe Milliarde Bürger:innen der Europäischen Union beeinflusst. Frieden versus Verteidigung, Handelskrieg oder -frieden, Energiepolitik, Entwicklungspolitik und soziale Gerechtigkeit, Identität und Vielfalt, Offenheit und Grenzen: Die Themen auf der Agenda sind zahlreich. Angesichts der Veränderungen im inneren wie im äußeren Kontext – allen voran der Krieg in der Ukraine – ist eine Neuinterpretation und Aktualisierung der Vision Robert Schumans und der Gründerväter nicht nur relevant, sondern notwendig.
Es sind 75 Jahre vergangen, seit der damalige französische Außenminister am 9. Mai 1950 in Paris seine revolutionäre Rede hielt und damit den Grundstein für den europäischen Integrationsprozess legte. Heute, im Gebäude des Europäischen Parlaments in Brüssel, haben Expert:innen, Vertreter:innen verschiedener christlicher Bewegungen sowie junge Aktivist:innen Schumans Vision eines vereinten Europas als Instrument des Friedens eine Stimme verliehen.
Verschiedene Kirchen und Bewegungen aus mehreren Ländern Europas
Die Veranstaltung wurde auf Initiative von Miteinander für Europa (MfE) gemeinsam mit einigen Europaabgeordneten organisiert – auf Einladung der slowakischen Abgeordneten Miriam Lexmann, die aus familiären Gründen abwesend war. Am Morgen des 15. Mai versammelten sich rund hundert Personen aus Belgien, Italien, Deutschland, den Niederlanden, der Slowakei, Österreich, Frankreich, Griechenland und Rumänien. Anwesend waren Christen aus der katholischen und orthodoxen Kirche sowie aus den Kirchen der Reformation; Vertreter der Gemeinschaften Immanuel, YMCA, Fokolare, Schönstatt, Sant’Egidio, Quinta Dimensione und der Gemeinschaft Papst Johannes XXIII. – die typische Vielfalt des Netzwerks MfE. Gerhard Pross, Zeitzeuge der Anfänge und Moderator von MfE, betonte: „Für uns ist es wichtig, die Kraft des Glaubens bei der Gestaltung der Gesellschaft zum Ausdruck zu bringen. Wir sind jedoch nicht an Macht oder Herrschaft interessiert, sondern daran, Hoffnung, Liebe und die Kraft der Versöhnung und des Miteinanders zu vermitteln, die im Evangelium begründet sind.“
Studenten erleben Europa zwischen Dialog, Institutionen und Spiritualität
Unter den Zuhörern – und unter den Referenten – fällt die starke Beteiligung junger Menschen auf: 20 von ihnen kommen vom Gymnasium Spojená škola Svätá rodina in Bratislava. Sie studieren aktive Bürgerschaft und europäisches Recht. Sie sind mit ihren Lehrern in Brüssel, um Erfahrungen zu sammeln, die ihren beruflichen und privaten Lebensweg prägen können. Unter ihnen ist Maria Kovaleva. In ihrem Beitrag erklärt sie: „Ich komme aus Russland, und für mich bedeutet Europa, dass ich heute hier sein kann, unabhängig von meiner Herkunft oder der politischen Lage in meinem Land oder in der Slowakei, und frei sprechen kann – genau hier, im Herzen Europas. Für mich war Europa immer ein Ort, an dem es keine Rolle spielt, welcher Religion oder Nationalität man angehört. Jeder hat das Recht, sich zu äußern, und zwar ohne Zensur. Das ist das Europa, von dem Robert Schuman geträumt hat.“
Peter, 16 Jahre alt, zeigte sich sichtlich beeindruckt, zum ersten Mal an einem institutionellen Ort zu sein, an dem wichtige Entscheidungen getroffen werden. Er ist Schülervertreter und das Erlebnis in Brüssel ist für ihn eine Inspiration für die Zukunft, in der er durch Management oder politisches Engagement eine Führungsrolle übernehmen möchte.
Samuel, 17, beschrieb die Tage als „eine außergewöhnliche Erfahrung, um mehr über Europa zu erfahren, über politische Abläufe und die Arbeit des Parlaments. Ich glaube, ich spreche im Namen der ganzen Klasse: Es war großartig!“
Eine weitere Studentengruppe kam aus Italien – zehn Studierende der Politikwissenschaften und internationalen Beziehungen von der LUMSA-Universität in Rom. Daniele, im ersten Studienjahr, war besonders beeindruckt vom Nachmittag: dem ökumenischen Gebet in der ‚Chapel for Europe‘. „Mir gefällt die Arbeit von Chiara Lubich, Brücken zu bauen, um alle zu vereinen. Man konnte das Engagement jedes Einzelnen spüren. Es war kein Treffen von Träumern, sondern eine konkrete Suche, die zu etwas Solidem führt.“ Für Diego war es ein Moment, in dem Erinnerung wiederbelebt wurde, die zu Kontinuität führt. Die in Brüssel spürbare Internationalität inspirierte ihn: „Ein Ausgangspunkt für zukünftige Entwicklungen.“ Die Beiträge der Europaabgeordneten hat er besonders geschätzt.
Der Appell der Europaabgeordneten an die Jugend und die Bewegungen
Anwesend waren am Vormittag Antonella Sberna (Europäische Konservative und Reformer), Vizepräsidentin des Europäischen Parlaments und zuständig für die Umsetzung von Artikel 17 AEUV, Leoluca Orlando und Cristina Guarda (Grüne). „Ihr seid ein Beispiel dafür, was die EU für unsere Völker und unsere Zivilisationen tun kann“, erklärte die Vizepräsidentin gegenüber Miteinander für Europa. Sie forderte die anwesenden jungen Menschen auf, „kritisch, aber leidenschaftlich“ zu sein, „Europa gut zu studieren“, um „gemeinsam das zu korrigieren, was uns nicht gefällt, den Frieden innerhalb unserer Grenzen zu gewährleisten als Beispiel für die Einheit der Völker unter Achtung der Souveränität“.
Leoluca Orlando lud dazu ein, „das Zukunftsprojekt zu erkennen, das in Schumans Handeln lag, und eine ‚unruhige‘ Erinnerung zu pflegen“. Er erinnerte an das Prinzip der Geschwisterlichkeit, das historische Polarisierungen zwischen rechts und links in Bezug auf Freiheit und Gleichheit überwinden könne. Als Beispiel für Geschwisterlichkeit erwähnte er „die prophetische Erfahrung der Einheit zwischen Katholiken und Lutheranern dank der Intuition von Chiara Lubich in Ottmaring bei Augsburg – einem Ort im Herzen des Dreißigjährigen Krieges“.
Für Cristina Guarda ist Frieden das Schlüsselwort: „Als christliche Bewegungen bitte ich euch, euch an dieser Diskussion zu beteiligen und unsere Kohärenz im Streben nach Frieden einzufordern. Trefft die richtigen Entscheidungen und wählt richtig, um den Frieden zu respektieren.“
Europa auf dem Weg zur Verwirklichung seiner Berufung begleiten
Und genau das ist das Ziel der Schuman-Erklärung: ein Friedensprojekt. Jeff Fountain vom Schuman Centre bietet eine Interpretation der spirituellen Grundlagen der Erklärung und ihrer „mutigen dreiminütigen Rede“: „Ihr Projekt war nicht nur politisch oder wirtschaftlich. Auf einer tieferen Ebene lässt sich erkennen, dass das Projekt zutiefst moralisch und spirituell ist und in den Werten des Herzens verwurzelt ist. Die Institutionen, zu deren Entstehung sie beigetragen hat – so unvollkommen sie auch sein mögen – sind ein Schutzwall gegen die Rückkehr zu einer Politik der Herrschaft und Ausgrenzung, der Angst und des Hasses.“
Aber wer sollte Europa seine Seele geben? – Diese Frage stellte Alberto Lo Presti in den Raum: „Wir sollten nicht erwarten, dass diese Seele von den europäischen politischen Institutionen geschaffen und an ihre Bürger weitergegeben wird. Ich möchte nicht in einer Gesellschaft leben, in der mir eine Institution eine Weltanschauung einimpft. Das tun normalerweise totalitäre politische Organisationen, die wir auch hier in Europa gut kennen: zum Beispiel der Nationalsozialismus und der Kommunismus. Die Seele der Europäischen Union wird sichtbar werden, wenn sie sich in den täglichen Entscheidungen ihrer Bürger widerspiegelt. Als Miteinander für Europa wollen wir Europa bei der Verwirklichung seiner Berufung begleiten.“
Maria Chiara De Lorenzo
Eine ausführlichere Dokumentation folgt in Kürze auf der Seite „Europatag 2025“.














Foto: H. Brehm / K. Brand / M. Bacher
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