Die Stadt als Gottesort

von | Juli 4, 2025

Gott lässt sich finden – auch und gerade an den Orten, die hoffnungslos gottfern scheinen. Eine Begegnung des ökumenischen Netzwerks Miteinander für Europa (MfE) vom 27.-29. Juni 2025 in München beschäftigte sich mit dem Dienst der Christinnen und Christen an der Stadt.

Der Kontext

Die Matthäuskirche in München ist auf drei Seiten vom Nussbaumpark umgeben, im Osten grenzt sie an den Sendlinger-Tor-Platz. Ein Ort zentral in der Stadt gelegen und doch im Grünen – ideal für eine Begegnung mit dem Thema „Suchet der Stadt Bestes“. Doch der erste Eindruck täuscht. Idyllisch ist es hier nicht. Ein Obdachloser hat auf den Eingangsstufen der lutherischen Kirche übernachtet; immer wieder bitten Menschen an den Türen der Kirche um Geld.

Um diese Stadt ging es in der Matthäuskirche. Um das Beste für diese Stadt. In all ihrer Widersprüchlichkeit. Weltweit sind Städte Sehnsuchtsorte. In wenigen Jahren wird die Hälfte der Menschheit in Städten leben. Und die Christen? „Die Städte wachsen, doch die Christen fliehen häufig aus ihnen“, stellte Rainer Harter, Leiter des Gebetshauses in Freiburg bedauernd fest. Einen entschieden anderen Akzent setzte da das Wochenende von MfE mit gut 200 Teilnehmenden, die überwiegend aus Deutschland, aber auch aus Österreich angereist waren.

Sich der Realität stellen

Der Titel der Tagung „Suchet der Stadt Bestes“ ist Bibel-Zitat und steht beim Propheten Jeremia. „Jeremias Worte rufen uns dazu auf, uns auf die Realität einzulassen, wie sie ist; ohne sich Illusionen zu machen oder sich in ‚gute alte Zeiten‘ zurückzuwünschen – doch vor allem nicht die Hoffnung auf die Zukunft aufzugeben“, sagte die Alttestamentlerin Janina Hiebel in ihrem Beitrag am Samstagvormittag, der der historischen, geistlichen und theologischen Vertiefung des Titels gewidmet war. Und weiter: „Sucht das Beste und betet für die Stadt, für das Land und für die Welt, in der ihr lebt, das bedeutet auch: keine Feindbilder aufbauen, sondern sie überwinden. Identität bewahren, ohne sich abzuschotten. Gott wird sich von euch finden lassen, auch und gerade an den Orten, von denen ihr meint, dass sie hoffnungslos gottfern sind.“

Deborah Dittmer, Leiterin der Vineyard-Gemeinde München, stieß in ihrem Beitrag in die gleiche Kerbe: „Wir müssen unsere Opfermentalität loslassen. Wir sind keine Opfer! Wir sind auch keine Beherrscher! Wir sind Salz und Licht der Welt! Das bedeutet nicht, dass wir alles gut finden müssen. Aber wir entscheiden uns für eine Haltung der Liebe gegenüber dieser Welt, der Gesellschaft, der Menschen, eine Annahme mit allen Problemen und Herausforderungen, die auch da sind; nicht aber eine Haltung der Furcht oder Abneigung oder Abschottung.“

Die Stadt – Ort der Begegnung auf dem Fundament der Liebe

Im Hauptvortrag des Vormittags zeigte Jesús Morán, Kopräsident der Fokolar-Bewegung, auf, wie weltliche und geistliche Denker über Jahrhunderte hinweg die Stadt beschrieben haben – als Orte, in denen die Chancen und Grenzen der Vernunft und der Gerechtigkeit erkennbar sind; Orte, deren Fundament die Liebe sein muss. Dann, so Morán, der per Video zugeschaltet war, werde die Stadt „zum Ort der Begegnung zwischen Mensch und Gott. Das ist es, was der christliche Blick auf die Stadt bewirkt: den Übergang von der Rationalität zur Relationalität, von der Vernunft des einzelnen zur Vernunft einer Gemeinschaft.“ Christen, so Morán weiter, könnten sich „dafür einsetzen, inmitten der sichtbaren Städte unseres Kontinents jene ‚unsichtbaren Städte‘ zu errichten, die wahre prophetische Vorzeichen des Reiches Gottes sind.“ Hier geht es zum vollständigen Text>>

Bereits am Freitagnachmittag war es im Gespräch mit Kirchenvertretern und einem Politiker darum gegangen, was denn nun „das Beste“ für die Stadt sei und wie man es erkennen könne. „Suchet der Stadt Bestes“ heiße etwa, denen eine Stimme zu geben, die sonst keine haben; zu helfen, dass die Armen und Schwachen gehört werden, meinte Markus Grübel, von 2002 bis 2025 Bundestagsabgeordneter und von 2018 bis 2021 Beauftragter der Bundesregierung für die weltweite Religionsfreiheit.

Das Gemeinsame suchen  

Jeremia habe das Volk Israel aufgefordert, das Beste für die fremde, ja feindliche Stadt Babylon zu suchen, unterstrich Thomas Prieto Peral, evangelisch-lutherischer Regionalbischof von München. Es sei der vielleicht älteste Aufruf, das Gemeinwohl im Blick zu haben. Allen solle es gut gehen. Und deshalb, so Prieto Peral, sei unser Platz an der Seite der Menschen, die angegriffen werden, die Angst haben, egal wer sie sind. Christoph Klingen, der Generalvikar des Erzbistums München-Freising ergänzte: „Suchet das Beste heißt: Suchet das Gemeinsame. Dann kann das Zeugnis der Christen für die Stadt heller leuchten.“

Im Inneren der Matthäuskirche zieht ein großes Mosaik die Blicke auf sich. Es stellt das „Himmlische Jerusalem“ dar, also die Stadt Gottes. Um diesen Gott anzubeten und zu ehren, gab es im Programm viel Zeit zum Gebet und zum Lobpreis, die von der „Lobpreiswerkstatt“ der Gemeinschaft Immanuel in Ravensburg gestaltet wurden. In seiner Predigt während des Abschlussgottesdiensts fragte Reinhardt Schink, Vorstand der Evangelischen Allianz Deutschland, wer denn die Macht habe, das Beste für die Stadt herbeizuführen. Der Elefant? Der Löwe? Seine Antwort: Nein, es ist das Lamm. „Am Kreuz hat der Böse alles verloren. Das Leben entfaltet sich da, wo es die Bereitschaft zur Hingabe gibt.“

Das Bündnis der gegenseitigen Liebe, Grundlage des Miteinander, wurde in München wieder erneuert: „Jesus, wir sagen Ja zu deinem Gebot und erneuern unser Bündnis der gegenseitigen Liebe. Wir wollen einander lieben, wie du es versprochen hast. Wir bitten dich, stärke unsere Liebe durch den Heiligen Geist und sei du unter uns, wie du uns versprochen hast. Wirke du in uns und durch uns, damit wir ein Segen sein können für unsere Mitmenschen und dem Wohl der Gesellschaft dienen.“

Mehr Informationen wie ein ausführlicher Tagungsbericht, Informationen zu den Foren sowie Bildimpressionen sind auf der deutschen MfE-Webseite zu finden>>

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